Plea­se hold the line. Oder die Zahn­pas­ta. Ach egal.

Mor­gens, 08:15 Uhr. Karl wur­de gera­de vom Fahr­dienst sei­ner Schu­le abge­holt. Anja will Mar­le­ne heu­te auf dem Weg zur Arbeit in den Kin­der­gar­ten brin­gen. Das heißt sie müs­sen frü­her los. Die Zeit ist knapp. 

Mar­le­ne sitzt immer noch im Schlaf­an­zug am Früh­stücks­tisch und schiebt sich in Zeit­lu­pe einen Löf­fel Müs­li in den Mund. Ich sage ihr, dass sie sich etwas beei­len soll. “Ich habe sowie­so kei­nen Hun­ger mehr” sagt sie mit einem fast schon puber­tär-generv­ten Unter­ton und steht auf. Ich ver­su­che sie mit Jas­min auf dem Arm ins Bad zu lot­sen und bli­cke mich suchend nach Anja um. Anja muss drin­gend aufs Klo und ver­schwin­det im Gäs­te­bad. Irgend­wo klin­gelt ein Han­dy. Doch es ist nicht meins. Mar­le­ne hat es sich unter­wegs anders über­legt und flüch­tet in Karls Zim­mer. Ich set­ze Jas­min ab um Mar­le­ne ein­zu­fan­gen. Jas­min krab­belt sofort ziel­si­cher Rich­tung Gäs­te­klo. Anja beschwert sich nicht, also kon­zen­trie­re ich mich auf Mar­le­ne. Wie gesagt, die Zeit ist knapp. End­lich sitzt Mar­le­ne auf dem Klo. Danach hel­fe ich ihr beim Umzie­hen. Sie will eine ande­re Unter­ho­se und rennt zurück in ihr Zim­mer. Ich war­te. Ich höre Stim­men aus dem Gäs­te­bad. Tele­fo­niert Anja auf dem Klo? 

Mar­le­ne kommt nicht wie­der, ich gehe nach­se­hen. Sie sitzt in ihrem Zim­mer auf dem Boden und spielt. Die Unter­ho­se hat­te sie ver­ges­sen. Nach einem sorg­fäl­ti­gen Aus­wahl­pro­zess ist die rich­ti­ge Unter­ho­se end­lich gefun­den und Mar­le­ne begibt sich im Schne­cken­tem­po wie­der Rich­tung Bade­zim­mer. Anja tele­fo­niert immer noch im Gäs­te­bad. Ich höre ein paar Gesprächs­fet­zen und krie­ge mit, es geht um Karl. Er hat schon seit Wochen wie­der Durch­fäl­le und ist auch vom Ver­hal­ten sehr her­aus­for­dernd. Sei­ne Gesund­heit ist gera­de das alles beherr­schen­de The­ma. Aber wem muss man mor­gens um halb 9 davon am Tele­fon erzäh­len, wenn wir alle losmüssen? 

Mar­le­ne hat sich fer­tig umge­zo­gen und will, dass ich ihr die Zäh­ne put­ze. Mein schlech­tes Gewis­sen erin­nert mich dar­an, dass sie eigent­lich längst in einem Alter ist, in dem man mit ihr üben könn­te die Zäh­ne selbst zu put­zen. Der Zeit­druck und ihr Unwil­le las­sen mich die­sen Gedan­ken wie­der ver­wer­fen. Anja kommt mit Jas­min auf dem Arm und ihrem Han­dy in der Hand dazu. Sie bleibt in der Tür­schwel­le vom Bade­zim­mer ste­hen und setzt Jas­min ab. Der Laut­spre­cher ist an. Die Stim­me am ande­ren Ende der Lei­tung ken­ne ich nicht. Viel­leicht eine Kol­le­gin von ihr? Es geht immer noch um Karls Ver­dau­ungs­pro­ble­me. Anja läuft ner­vös auf und ab. Unter­des­sen ver­teilt Jas­min die Socken aus dem Wäsche­korb gleich­mä­ßig auf dem Bade­zim­mer­bo­den. Oder ist es viel­leicht die neue Kin­der­ärz­tin? Ich bin wirk­lich nicht beson­ders gut dar­in Leu­te am Tele­fon zu erkennen. 

Ich ver­su­che Mar­le­ne wei­ter die Zäh­ne zu put­zen, wäh­rend sie mir unab­läs­sig Regie­an­wei­sun­gen für unser Kari­us-und-Bak­tus-ver­su­chen-der-Zahn­bürs­te-zu-ent­kom­men-Hör­spiel erteilt: “Mami, und jetzt muss Bak­tus noch sagen, So ein Mist! Wir haben es schon wie­der nicht geschafft.” Ich wie­der­ho­le in tie­fer Bak­tus-Stim­me “So ein Mist! Wir haben es schon wie­der nicht geschafft”, wäh­rend Mar­le­ne aus­spült. In die­sem Moment sagt Anja am Tele­fon irgend­was von Zölia­kie­test. Ich den­ke laut, dass wir doch vor eini­gen Jah­ren schon auf Zölia­kie getes­tet haben. Es ist als ob Anja auf mei­ne Betei­li­gung am Tele­fo­nat gewar­tet hat­te: “Ich über­ge­be mal an mei­ne Frau, die steckt in dem The­ma etwas mehr drin als ich”. Dann drückt sie mir ihr Han­dy in die Hand und ver­schwin­det eilig Rich­tung Klo, dicht gefolgt von Jasmin. 

Unbe­hol­fen hal­te ich das Han­dy ans Ohr. Dank mei­ner stark beschränk­ten Fähig­keit zum Mul­ti­tas­king hat sich mei­ne Auf­merk­sam­keit in den letz­ten Minu­ten doch mehr auf Kari­us und Bak­tus Flucht vor der Zahn­bürs­te, als auf den Inhalt die­ses Tele­fo­nats gerichtet. 

Wie krie­ge ich jetzt her­aus um was es ging und mit wem ich spreche? 

Ich ver­su­che das Schwei­gen, dass sich gera­de auf bei­den Sei­ten der Lei­tung auf­baut, zu brechen: 

“Ja, hal­lo… Äh, ich habe das Gespräch eben mit einem Ohr mitgehört…” 

Ich füh­le mich wie in einem die­ser Rate-Spie­le, die wir im Impro­vi­sa­ti­ons­thea­ter spie­len. Was ich auf der Büh­ne ganz gut beherr­sche, will im ech­ten Leben gera­de nicht so rich­tig klap­pen. Ich habe einen tota­len Hän­ger. Mit gro­ßer Wahr­schein­lich­keit wird es die Kin­der­ärz­tin sein. Wahr­schein­lich wird es um das Ergeb­nis der Stuhl­pro­be gehen, die wir ein­ge­schickt haben. Aber was sage ich denn jetzt? Tut mir Leid, ich habe eben doch nicht so rich­tig mit einem Ohr zuge­hört und mei­ne Frau ist hin­ter der Klo­tür ver­schwun­den? Erneut baut sich Schwei­gen auf. Ich ver­su­che neu­tral zu fra­gen “Wol­len Sie mich kurz auf den aktu­el­len Stand bringen?” 

Feh­ler. 

Etwas ver­är­gert kommt aus dem ande­ren Ende der Lei­tung “Dafür habe ich jetzt wirk­lich kei­ne Zeit mehr, ich habe hier einen lau­fen­den Betrieb und Pati­en­ten die warten.” 

Ja gut, wahr­schein­lich hat sie das Anja gera­de alles schon erzählt, aber immer­hin weiß ich jetzt, dass es tat­säch­lich die Kin­der­ärz­tin ist. Ich beschwich­ti­ge schnell, ver­knei­fe mir nach dem Ergeb­nis der Stuhl­pro­be zu fra­gen und fra­ge statt­des­sen, wie wir ver­blei­ben wollen. 

Schon bes­ser.

Das Gespräch wird wie­der flüs­si­ger. Sie sagt mir, dass ich dann noch einen Ter­min zur Blut­ab­nah­me aus­ma­chen kann und sie mir eine Über­wei­sung zum Gas­tro­en­te­ro­lo­gen aus­stellt. Ich klop­fe mir inner­lich auf die Schul­ter und beschlie­ße Anja spä­ter nach den Details zu den geplan­ten Unter­su­chun­gen zu fra­gen. Mit einem “Pri­ma, dann machen wir das doch so” been­de ich das Gespräch. 

Hin­weis: Die Namen unse­rer Kin­der sind in die­sem Bei­trag geändert

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