Im Wasch­ma­schi­nen­land

Ein Geis­tes­blitz mit Folgen

“Kann ich Ihnen hel­fen?” 
“Äh nein, …em wir gucken nur.” ant­wor­te ich verlegen.

Karl strahlt über das gan­ze Gesicht. Ein sol­ches Leuch­ten konn­te ihm nicht ein­mal der geschmück­te Weih­nachts­baum vor ein paar Wochen in die Augen zau­bern. Wir sind in der Wasch­ma­schi­nen-Abtei­lung vom Mediamarkt. 

Karl ist zu die­sem Zeit­punkt knapp drei Jah­re alt und wir sind gera­de dabei unse­ren gro­ßen Geis­tes­blitz umzu­set­zen. Zwei lan­ge Gän­ge, links und rechts gesäumt von Wasch­ma­schi­nen. Karls Begeis­te­rung wirkt anste­ckend. Wir sind gerührt, dass wir ihm mit einem so ein­fa­chen Mit­tel eine so gro­ße Freu­de machen konn­ten. War­um sind wir da eigent­lich nicht frü­her drauf gekom­men? Karl blickt sich begeis­tert um. Nach­dem er sich eini­ger­ma­ßen gefan­gen hat, fängt er der Rei­he nach an, jede Maschi­ne ein­mal zu öff­nen und die Trom­mel zu dre­hen. Dann wird die Tür wie­der geschlos­sen und das glei­che mit der nächs­ten Maschi­ne wie­der­holt. Tür auf, Trom­mel dre­hen, Tür zu, nächs­te Maschi­ne. Tür auf, Trom­mel dre­hen, noch­mal zurück, Knöp­fe drü­cken, neben­an wie­der Trom­mel dre­hen, Tür zu, nächs­te Maschi­ne. Tür auf. Oh die Maschi­ne gegen­über sieht auch nicht schlecht aus. Tür auf, Trom­mel… doch nicht dre­hen, lie­ber die ande­re da noch­mal ausprobieren. 

Karl befin­det sich im sieb­ten Wasch­ma­schi­nen-Him­mel. Der Ver­käu­fer schaut ner­vös zu uns her­über. Die nächs­te Tür reißt Karl schon etwas unsanft auf. Ich ver­su­che ihn ein biss­chen zu brem­sen. “Sooo, lass uns doch die­se Wasch­ma­schi­ne mal in Ruhe anschau…” Da ist Karl schon weg. Er hat den ande­ren Gang ent­deckt. Sei­ne Augen wer­den noch grö­ßer. Mehr Wasch­ma­schi­nen! Er macht sich sofort an die Arbeit. Tür auf, Trom­mel dre­hen, Tür zu, nächs­te Maschi­ne. Tür auf, Trom­mel dre­hen, nächs­te Maschi­ne. Tür auf, nächs­te Maschi­ne. Tür auf… 
Spä­tes­tens jetzt wird uns klar, was wir ange­rich­tet haben. Tür auf, Trom­mel dre­hen. Tür auf. Tür auf. Knöp­fe dre­hen. Tür auf… 
Unser Kind dreht im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes am Rad. Der Ver­käu­fer lässt uns kaum noch aus den Augen. 

Karl macht inzwi­schen zum ers­ten Mal Bekannt­schaft mit einem Trock­ner. Die Trom­mel lässt sich nicht so gut dre­hen. Ner­vös rüt­telt er am Trock­ner. “Karl, ganz ruhig…” Voll­kom­men über­reizt rennt Karl den Gang zurück und schlägt die Wasch­ma­schi­nen­tü­ren, die er auf dem Weg zum Trock­ner geöff­net hat, laut knal­lend wie­der zu. 

Anja und ich sind uns einig: Wir soll­ten jetzt bes­ser gehen. In die­sem Moment wird uns klar, dass wir den Plan nicht zu Ende gedacht hat­ten: Wie krie­gen wir ihn hier bloß wie­der raus? Ich ver­su­che Karl vor­sich­tig dar­auf vor­zu­be­rei­ten, dass wir gehen wer­den. Er spürt sofort was Sache ist. Als ich mich nähe­re igno­riert er mich gekonnt und starrt ange­spannt auf die Wasch­ma­schi­ne vor ihm. “Karl, du darfst dir die­se Wasch­ma­schi­ne noch anse­hen und dann müs­sen wir…” 
Bevor ich den Satz been­den kann, rennt er wie von der Taran­tel gesto­chen, laut brül­lend durch den Wasch­ma­schi­nen­gang und flüch­tet in die benach­bar­te Küchen­ab­tei­lung. Gefühlt gilt uns inzwi­schen die gan­ze Auf­merk­sam­keit im Laden. Nach einer kur­zen Ver­fol­gungs­jagd kommt uns eine trans­pa­ren­te Spül­ma­schi­ne zur Hil­fe. Karl bleibt fas­zi­niert ste­hen. Geschnappt. 

Mit unse­rem laut schrei­en­den und stram­peln­den Kind auf dem Arm arbei­ten wir uns Rich­tung Aus­gang vor. Als wir uns der Kas­se nähern, bekom­me ich bei dem Gedan­ken, dass wir uns da gleich ohne Ein­käu­fe vor­bei drän­gen müs­sen ein unan­ge­neh­mes Gefühl. Aus irgend­ei­nem Grund war es mir schon als Kind super unan­ge­nehm, wenn ich mich im Super­markt mal ohne etwas gekauft zu haben, an der Kas­se durch­quet­schen muss­te. Und jetzt, nach­dem wir so viel Auf­merk­sam­keit in der Wasch­ma­schi­nen-Abtei­lung gene­riert hat­ten, neh­me ich aus einer Mischung aus Ver­le­gen­heit und schlech­tem Gewis­sen kur­zer­hand noch einen USB-Stick aus dem Akti­ons­korb mit. 

Schon kur­ze Zeit spä­ter bereue ich es. Wäh­rend ich an der Kas­se war­te, steht Anja mit Karl schon vor der Tür und ver­sucht ihn davon abzu­hal­ten zurück in den Laden zu ren­nen. Ner­vös schaue ich mei­ner Vor­gän­ge­rin beim bezah­len zu. Karl schreit. Geht das nicht ein biss­chen schnel­ler? End­lich bin auch ich drau­ßen. Karl hat sich inzwi­schen wie­der beru­higt und wir machen uns erschöpft auf den Heimweg. 

Doch wir ahnen, dass uns die­ser Tag noch eine gan­ze Wei­le in Erin­ne­rung blei­ben wird. Der Media­markt liegt direkt an der Stra­ßen­bahn­li­nie mit der wir jeden Mor­gen zur Kita fah­ren. Seit­dem erin­nert Karl uns jedes Mal wenn wir mit der Stra­ßen­bahn am Media­markt vor­bei­fah­ren begeis­tert und auch ein biss­chen sehn­süch­tig an das “Wasch­ma­schi­nen­land”. 

Hin­weis: Die Namen unse­rer Kin­der sind in die­sem Bei­trag geändert

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